Stimmen zum Salon

Mittwoch, 22. Februar 2006

Nachbetrachtung zum Salon am 10.02.2006

salon_jazzDie Reaktionen auf den Salon am 10. Februar fielen höchst vielfältig aus, von „Autoren und Publikum haben ihre Rollen perfekt gespielt!“ über „höchst amüsant“, „hackig“ (von Hackordnung), „bieder“ bis hin zu „Laden Sie mich bitte unbedingt wieder ein!“ war alles vertreten. Was so verschieden ankam, war die Diskussion nach der Lesung von Bernhard Lenort, Odile Kennel, Christine Hinz, Sabine Schönfeldt und Alban Nikolai Herbst. salon_schoenfeldtSie begann mit zwei Fragen, die man Autoren eigentlich nicht stellen sollte und die sie zu Recht empören (allerdings sei hier zur Verteidigung des Fragers erwähnt, dass die Moderatorin ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass alle Fragen erlaubt und keine zu dumm seien!), nämlich der Frage, warum sie schrieben und warum sie ihre Texte vorläsen. Was nicht zu überhören war: die Frage war in provozierender Absicht gestellt, nämlich offenbar jener, ein bisschen Leben in die Bude zu bringen. Mangelte es daran? Nachdem das Publikum aufgefordert war, seine Eindrücke preiszugeben, entstand diese typisch beklemmende Stille und Ratlosigkeit, die sich immer dann breit macht, wenn man aus der Rolle des Konsumenten oder Rezipienten aussteigen soll und nicht so recht weiß, ob das, was man zu sagen hat, auch interessant genug ist. In dieser haltlosen Spannung fanden die mit rheinländischem Dialekt trocken vorgetragenen Fragen ihren Platz. salon_herbstDas Dialektale (wie Herbst das Rheinländische auf seiner Website nannte).schien sich dabei, ob gewollt oder nicht sei dahin gestellt, in lockere Gegnerschaft zur Untastbarkeit des „Heiligtums“ Literatur zu positionieren, als ginge es darum, der Ehrfurcht vor dem Sprechen über Literatur den Garaus zu machen. Odile Kennel parierte mit dem Bäckergleichnis, einen Bäcker, so sagte sie, würde man schließlich auch nicht fragen, warum er Brötchen backe und sie verkaufe.salon_kennel Mit diesem Gesprächsbeginn war die atmosphärische Vorgabe gemacht: Heute abend sollte nicht der Konsens, sondern der Dissens das Wort haben.
Zwei Texte gerieten ins Zentrum der Kritik: der von Alban Nikolai Herbst „Die Unheil“, ein allegorischer Text, der schwebend das Aufkommen von Unheil zeichnet, sowie der von Sabine Schönfeldt „Abnied von Merzen“. „Abnied von Merzen“, ein sprachexperimenteller Vortragstext zum Freitod Heinrich von Kleists, ließe einen allein, dialektierte der agent provocateuer, Kleists Selbstmord, so Schönfeldt, ließe sie auch allein. Das sei eine Antwort, brummte der Rheinländer, der sich auf den Einwurf Herbsts, er stelle unlautere Fragen („aber hier sind doch alle Fragen erlaubt“, ein Zuruf aus dem Publikum), als ein naives Kind bezeichnete. Herbst lachte und beanspruchte das Recht, ein naives Kind zu sein, ebenso. Warum es „Die Unheil“ und nicht „Der“ oder „Das Unheil“ heiße, war noch eine recht freundlich formulierte Frage an Herbst, der sagte, dass der Text aus der Perspektive eines Mannes geschrieben sei, „Der Unheil“ hätte nicht funktioniert. salon_hinzChristine Hinz, die mit dem Text „Airbag“, eine Erzählung über die Fiktionalisierung eines erlösenden Familiendramas, auf dem Salon debütierte, kritisierte an Herbsts Text, dass er an keiner Stelle verrate, wie „Die Unheil“ mit Vornamen heiße. Herbst konterte, manche würden bei der h-moll-Messe einen metaphysischen Schauer erleben und manche eben nicht, womit der Fiktionär einen Teil des Publikums offenbar sehr in Wallung brachte. Was das denn sei, ein „metaphysischer Schauer“? Eine leise, männliche Stimme sagte, leider kaum hörbar: „Ich glaube, das ist etwas sehr Schönes.“ „Mich schauert’s“ rief eine weibliche Stimme. Herbst vertrat sich standfest, für das Erleben sei man selbst verantwortlich.
Herbst kritisierte auch „Abnied von Merzen“, sagte, er habe ein ungutes Gefühl bei dem Text, weil er Halt davor mache, auch den Tod, der am Schluss des „groovigen“ Textes steht, dem sprachlichen Experiment zu unterziehen. Ernst Jandl habe das gekonnt, fügte er noch hinzu, was eine Zuhörerin dazu vernanlasste, nach der Diskussion zur Autorin zu kommen und sie mit heftigster Inbrunst zu warnen: „Lassen Sie sich ja nicht verjandeln, lassen Sie den Schluss so!“ Was die Texte denn mit dem Thema ‚Fiktion’ zu tun hätten, war eine weitere Frage eines zunächst sich im Hintergrund haltenden Herren, der dann aber doch immer mehr Mut fasste, zu sagen, was er sagen wollte. Er hätte sich mehr Phantastik versprochen, aber die Texte würden ja doch sehr am Boden haften. Dem widersprach die Moderatorin: In salon_lenortBernhard Lenorts Text, ( „Die Mittwochsrunde“, eine Erzählung, in der Freunde in einem griechischen Restaurant unfreiwillige Zeugen eines unaufhörlichen Geschreis werden, das sie überhören in der Überzeugung, es handle sich wahrscheinlich doch nur wieder um eine „Realityshow“), ginge es um das Nicht-Auseinanderhalten-Können von Fiktionalem und Realem, in Hinzes Text ganz konkret um eine Fiktion, in Schönfeldts Text sei es die sprachliche Fiktion, Odile Kennels Text sei an sich eine Fiktion – Kennel hakte ein. O nein, das sei nicht nur an sich eine Fiktion. (Kennels Text ist ein möglicher Romananfang, in dessen Zentrum die Geburt eines Mädchens geschildert wird, dessen nicht leiblicher Vater unbedingt verhindern will, dass das Kind an einem 1.Mai geboren wird und deshalb die Uhren zurückstellt). Die Figuren des Romans erfänden ihre Geschichte(n) neu oder deuteten sie um, um sich selbst und die Welt zu erklären und auch das Verstellen der Uhr sei der Versuch, aus der Fiktion etwas Wahres werden zu lassen.salon_stuhl
Wieviel Reiz Literatur aufbringen müsse, um Leser und Zuhörer zu packen, fragte ein stiller Gast, der eher der nicht-phantastischen Form literarischer Fiktion zugetan schien.
Und ein weiterer Gast fiel durch sein leidenschaftliches Sprechen über Kleist auf. Die Gastgeberin des Abends wurde vermehrt nach dem Gespräch auf ihn angesprochen, wer das denn gewesen sei, ein „Literat“? Ein Wiedergänger Kleists gar? Vielleicht stellt jener Herr sich hier bald selbst vor...

Herzlichst Ihre
Sabine Schönfeldt

Fotos © Juliette Guttmann

Dienstag, 21. Februar 2006

Stimmen zum Salon am 10.02.2006

Im Mittenwalder Salon gewesen, welch liebevolles Ambiente und durchaus anregende Texte. Besonders Spass machte die anschliessende Diskussion in der Alban Nikolai Herbst den "Metaphysischen Schauer" ins Spiel brachte, der ihn immer dann befällt wenn er beim Schreiben auf der richtigen Fährte ist. Grosses Unverständnis im Publikum, auch ironisch sarkastisches Grinsen, aber ich verstehe was er meint - auch wenn ich es schlichter als "emotionale Berührung" beschreiben würde - auch ich fühle das manchmal wenn ich arbeite und genau deshalb liebe ich so sehr was ich tue

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Sehr geehrte Frau Schönfeldt,
Ihr bemerkenswertes Sprachexperiment zu Kleists Freitod im Ohr, habe ich mir ein Gedicht wieder vorgenommen, das ich 1999 in Frankfurt/Oder nach dem Besuch des Kleist-Hauses machte.
Vielleicht sagt es Ihnen etwas. Nochmals herzlichen Dank für den interessanten Lese- und Musikabend

Jörn Sack


Dem fernen, nahen Kleist

Deine Gedanken zerfetzten
wie Dum-Dum-Geschosse
Königsadler.
Deine Lieder schlugen
wie geschliff’ne Äxte
Seelenholz.
Wem du die Füße küsstest,
fraßt du die Zehen ab.
Dein Heiligtum war
ein dem Bauche des Apoll
entriss’ner Nabel.
Den grubst du in dein Universumsich.
Zerschmettert liegend, fliegend.

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sehr geehrte Sabine,
nennen Sie mich bitte "J.", duzen Sie mich bitte,
das ist in meinem umfeld so üblich und bedeutet keine
geringschätzung.

vor fast dreißig jahren hab ich in den hannöverschen
"horen" geschrieben. danach hab ich mich mit einem
literarischen projekt dermaßen übernommen, dass ich
mir überhaupt nichts mehr zutraute.
es verhält sich nicht so, dass meine
schreibtischschubladen überquellten an verweigerten
manuskripten. im laufe eines ungeordneten lebens waren
die schreibtische schlicht nicht mehr auffindbar.

für die große form fehlt mir der langausholende atem.
gedichte und essays traue ich mir zu. mehr nicht.
aber auch da ist nichts vorhanden.
man muss mich fordern, sonst kommt nichts.

mfg J.

aber Karl gibt nicht auf. und im Karl erscheint Karl. [Konrad Bayer]

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Nachbetrachtung bei Alban Nikolai Herbst

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