Dienstag, 21. Februar 2006

Die Mittwochsrunde

Wir saßen so gemütlich zusammen, bei Bier, Wein, Oliven und Schafskäse. Manche hatten Tsatsiki bestellt, alle kauten Brot. Hans trank Retsina. Er mag ihn einfach. Ich trinke Retsina eigentlich nur im Urlaub. Aus den Kneipenlautsprechern klang „Sitting At The Dock Of The Bay“.
Die Wand im Hintergrund, vor der wir üblicherweise sitzen, war bemalt mit der Dar¬stellung einer der Geburtsstätten des Rembetiko, des griechischen Tango. Viele nennen ihn auch den griechischen Blues. Hier spielen sie oft Rembetiko. Aus irgend¬einem Grund dachte ich an den Regisseur Costa-Gavras und an einen Film, in dem sie einem Jungen Stromstöße durch Zähne und Augen jagen. Das ganze ge¬schieht in einem Hörsaal für Offiziersanwärter. Einer von ihnen muss kotzen, rennt raus.
Was seine Kameraden mit dem wohl gemacht haben? Die Musik ist schön, ich be¬stelle noch einen Ouzo. Ich liebe unsere Mittwochsrunden.
Hans erzählt von seiner Kindheit in einer Militärdiktatur. Wir hören nur halb hin.
Viel¬leicht noch was Süßes? Nein, lieber noch ein paar Oliven mit Schafskäse. Und noch zwei Kristall, zwei Nord¬häuser, drei Ouzo. Hans bestellt noch einen Retsina. Ich trinke Retsina eigentlich nur im Urlaub. Ist doch interessant, dass manche Getränke, Gerichte und meistens auch Urlaubsbekanntschaften nur im Urlaub reizvoll sind, sich nicht in den Alltag integrie¬ren lassen.
Was ist denn das für ein Geräusch, das da immer wieder mal zu hören ist? Klingt wie ein Tier. Als ich mich umdrehe, um noch ein Bier zu bestellen, fällt mein Blick zufällig auf den Fernsehapparat in meinem Rücken. Ich setze mich, wann immer es möglich ist, so, dass ich den Fernseher nicht im Blickwinkel habe. Ich muss ihn sonst immer anstarren, und das ist wenig kommunikativ. Gerade läuft ein Gangsta-Rap. Der Ton ist ausgestellt. Irgendein Junge, der die Welt durch Beleidigungen herausfordert und ein paar frauenfeindliche Sprüche absondert. Kann ich mir schon denken.
„Am ätzendsten ist ja die ganze Frauenfeindlichkeit hier in dieser Männergesell¬schaft“, lässt Kati mal richtig Dampf ab. Kati muss es wissen: Sie versucht schon seit drei Jahren, einen Macker an Land zu ziehen. Ich proste ihr zu, sie ignoriert mich.
„In der Oper Tosca“, doziert Werner, „gibt es eine Szene, in der ein Typ eine Frau ins Bett bekommen will und sie deshalb zum Essen einlädt. Er ist ein absoluter Genießer und Kenner. Der Haken dabei“ – Werner piekst ein Stück Käse auf und stochert dann genussvoll zwischen den Zähnen – „also für die Frau und für ihren Lover, nicht für den Typen, also der Haken ist, dass der Lover im Nebenraum des Speisezimmers verhört wird. Er hat sich mit Terroristen eingelassen.“ „Ich finde, man müsste endlich mal entschieden was gegen die Vogelgrippe unternehmen“, meldet sich Karla, „und wer redet eigentlich noch von SARS?“ Nofretete (wir nennen sie Noffi, ihre Eltern sind Archäologen und waren früher oft im Nahen Osten), Noffi also findet am schlimmsten, dass die Meere überfischt werden, sogar in den eigens eingerichteten Schutzgebieten. „Da überwachen sie alles mit Satelliten“, pflichtet Jürgen bei, „aber die ganzen krimi¬nellen Fabrikfangschiffe können sie angeblich nicht identifizieren.“
Wer schreit denn da die ganze Zeit? Ich hasse dieses rücksichtslose Volk. Kaum sind sie mal in der großen Stadt, grölen sie gleich, als ob sie allein wären. Fußballfans, Testosteron-be¬herrschte Jungmänner und so weiter. Die gleichen, die Auto fahren, als säßen sie voll gedröhnt vor irgend so ‘nem Computerspiel.
Wir fühlen uns wohl in unserer Runde. Wir treffen uns immer mittwochs, manchmal auch donnerstags. Um 19.30 Uhr, das ist spät genug, um bequem von der Arbeit herzukommen, vielleicht vorher sogar noch mal kurz nach Hause zu fahren, sich frischmachen und so, und früh genug, um einige Stunden zusammen sein zu kön¬nen, ohne dass es am nächsten Tag Probleme mit dem Aufstehen vor der Arbeit gibt. Und die Wochenenden hat man noch für anderes frei.
„Dass sie nichts gegen die Arbeitslosigkeit unternehmen, sondern sich bloß alle die Taschen vollstopfen. Die können doch den Hals nicht voll kriegen. Es ist ein Skandal!“ Das ist die konsequente Position von Karl, der entschieden und engagiert auf Seiten der Schwachen steht, seit ich ihn kenne. „Globalisierung!“ ereifert sich Rudolph, „Globalisierung! Ich kann’s nicht mehr hören! Nachhaltigkeit, darauf kommt’s an. Nachhaltigkeit! Kostas, noch’n Kristall ohne Zitrone!“
Dass jetzt „Griechischer Wein“ läuft, empfinde ich als persönliche Beleidigung. Folter für die Ohren.
„Also mit dem Verhör“, meldet sich Werner wieder zu Wort, der noch einen Rotwein bestellt hat, „ist das nämlich so: Wenn Tosca – so heißt die Braut...“ (missbilligender Blick von Kati) – wenn Tosca für Scarpia – so heißt der Typ, der scharf auf sie ist, er ist der Geheimdienstchef, wenn Tosca also für Scarpia die Beine breit macht, hören sie mit dem Verhör auf.“
„Wieso denn das?“ fragt Peter, „das macht doch keinen Sinn. Wenn die was raus¬kriegen wollen...“ Werner unterbricht ihn. Peter ist immer so genau, aber manchmal etwas langsam und schwer von Begriff. Vor Jahren haben wir ihm zum Ge¬burtstag den Roman „Die Entdeckung der Langsamkeit“ geschenkt – er ist heute noch nicht fertig mit Lesen. „Die wollen doch gar nichts rauskriegen. Es geht doch nur darum, die Frau unter Druck zu setzen.“
Kann der Typ nicht endlich mal seine Schnauze halten? Das hält ja kein Mensch aus, diese Rumbrüllerei.
„Das alles zeigt doch nur, dass der Gefangene, also der Lover von der Frau, nicht wirklich wichtig ist“, erläutert Werner, „und wahrscheinlich auch nichts Wichtiges zu sagen hat.“ „Dann wäre das ja Willkür“, empört sich Peter. „O Mann, Peter“, äußert Werner huldvoll.
„Habt ihr schon mal Condy Rice Klavier spielen gehört?“ fragt Petra. „Ich finde ihre Schuhe immer so geil“, lässt sich Franz vernehmen, „und ihre Frisur ist ganz klar erotischer als die von der Merkel. Ne richtig tolle Frau.“ „Scheiß Chauvis!“ bellt Kati. „Wau, wau“, kontert Franz. „Arschloch“, knurrt Kati. „He, Kostas, kannste nicht mal ne andere CD auflegen?“ Aber Kostas ist im Keller. Das Licht flackert leicht. Jetzt schreit schon wieder einer. Ist hier denn ein Irrenhaus?
„Wie jetzt“, fragt Peter nach. Er hat tatsächlich so lange gebraucht. „Mit ‘nem Verhör vom Lover die Frau unter Druck setzen? Wie soll das denn gehen? Was ist denn an so ein paar Fragen dran, dass man eine Frau damit rumkriegen kann?“
„Mensch, Peter, das ist eine intensive Befragung. Nicht so gemütlich am Tisch: He, willste ne Zigarette, nen Kaffee? Eher so: Die Zigarette mit der Glut ins Gesicht ge¬drückt, auf den Handrücken, in die Nähe der Augen gebracht. Den heißen Kaffee ins Gesicht, über die Augen, in den Mund. Da geht’s rund...“ Werners Augen beginnen zu leuchten. Oder?
„Wenigstens scheint in Guantánamo die Sonne. Nicht so ne Arschkälte wie hier“, sagt einer von uns. „Wie kommste denn jetzt da drauf?“ fragt ein anderer. „Ich meine, Terroristen sind doch auch nicht zimperlich“, wirft Roswitha ein. Wie viele sind wir denn heute abend eigentlich?
Ich bestelle noch eine letzte Runde. Am Nebentisch entwickelt sich ein Disput. „Nein, ich komme nicht mit“, sagt ein erregter Typ ziemlich laut. Zwei andere versuchen, ihn zu beschwichtigen, und machen uns anderen Gästen Zeichen, dass alles okay ist.
Von wegen! Warum stopft denn keiner diesem Schreihals das Maul! Das klingt, als käme es aus dem Keller. Aber was für ein Gebrüll!
Die Szene am Nebentisch wird rauer. „Nein, ich komme nicht mit! Ich bleibe hier!“ Wir übrigen schauen uns irritiert an. Das ist doch bestimmt wieder irgend so ein Reality-TV-Programm oder eine Aufnahme für einen Spielfilm. Richtig – da ist ja auch die Videokamera mit Scheinwerfer. Wäre doch gelacht, wenn wir als Großstädter so et¬was nicht durchschauten! Wir kennen uns schließlich aus, hier und heute in der Welt!
Aber diese Filmerei immer und überall nervt auf die Dauer doch schon sehr. Erst gestern haben sie bei meinem Nachbarn gedreht, einem Hartz-IV-Empfänger. Hat sich wohl ein Zubrot als Kleindarsteller verdient. Oder es war eine Aufnahme für eine Show „Meine Träume werden wahr“, „Papa, wann lerne ich dich kennen“ oder so. Früher bekam man noch ein bisschen was als Statist und Komparse, heute läuft das alles über die 1-Euro-Jobs. Ich war selber in der Statistenkartei, früher, als Student. Kam aber nie ein Angebot.
Komisch mit dem Nachbarn ist, dass er heute nicht mit dem Hund raus ist. Der Köter hat gejault und gejault und an der Tür gekratzt mit den Pfoten... Das ist so gar nicht die Art von meinem Nachbarn. Der ist eigentlich ganz okay, nur eben ein bisschen ungepflegt. Vielleicht hat er das Geld versoffen, dass er für die Filmerei bekommen hat. Soll er doch. Solange es nicht die Regel wird...
Das Filmteam rückt ab. Der Darsteller war so was von überzeugend! Wie der um sich geschlagen hat und sich gewehrt und um Hilfe gerufen: „Das ist eine Entführung! Ich werde gegen meinen Willen entführt, bitte helfen Sie mir!“ Dann hat er noch zwei Namen genannt und Telefonnummern dazu, die sollten wir anrufen. Aber die hat kei¬ner aufgeschrieben, so weit ich das gesehen habe. Gut so, man muss ja wirklich nicht bei jedem Scheiß mitmachen, den diese Film- und Fernsehleute einem aufti¬schen. Dann ruft man da an und bekommt so eine Computerstimme zu hören: „Herzlichen Glückwunsch, Sie haben gewonnen! Überweisen Sie nur schnell 100 Euro, damit wir Ihnen den Gewinn zustellen können!“ Und bestimmt ist irgendwo eine Kamera versteckt, dann heißt es: „Ätsch, versteckte Kamera!“ Ich mach mich doch nicht zum Deppen, und meine Freunde auch nicht. Da stehen wir Gott sei Dank drü¬ber! Wir unterhalten uns auf einem gewissen Niveau und bevorzugen die entspre¬chende Gastronomie. Dass Kostas sich auf so was eingelassen hat... Ich finde, da müssen wir, also unsere Mittwochsrunde, mal drüber reden, ob wir nicht lieber per¬spektivisch das Lokal wechseln. Und die verdammte Schreierei hier geht mir extrem auf die Nerven!

© Bernhard Lenort
gelesen am 10.02.2006

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